MACRON TRäUMT VON EINEM OLYMPISCHEN WAFFENSTILLSTAND IN DER UKRAINE – DOCH XI JINPING WIRD IHM DABEI KAUM BEHILFLICH SEIN

In keinerlei Weise sei diese Entscheidung eine Zustimmung zum politischen System, das China dominiere. Mit diesen Worten kommentierte 1964 Präsident Charles de Gaulle die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur kommunistische Volksrepublik China. Sechzig Jahre später sind diese Beziehungen nicht einfacher, wie der Besuch des autokratischen Staats- und Parteichefs Xi Jinping in Paris zum Sechzig-Jahre-Jubiläum zeigt.

Der Empfang für Xi, der am Sonntag in Orly landete, war pompös und demonstrativ freundlich. Am Montagabend richtete der französische Präsident Emmanuel Macron im Élysée-Palast ein Staatsbankett für Xi und seine Frau aus. Diesen Dienstag will er die chinesischen Gäste in die Pyrenäen mitnehmen, wo er als Kind häufig Zeit bei seiner Grossmutter verbrachte. Ein Spaziergang auf 2000 Metern Höhe soll den intimen Rahmen für offene Gespräche bieten.

Appell an die Europäer

Was der chinesische Präsident bei seinem ersten Besuch in Europa seit fünf Jahren von Frankreich und der EU erwartet, legt er in einem Gastbeitrag in der Zeitung «Le Figaro» dar. Wenn auch auf subtile Art, indem er Konfuzius zitiert: «Der Weise pflegt die Harmonie in der Vielfalt und hält sich in der Mitte, ohne sich auf die eine oder die andere Seite zu neigen. Wie mutig ist seine Standhaftigkeit!» Die Europäer, so die implizite Botschaft, sollten sich im neuen kalten Krieg zwischen den USA und China nicht ins Lager der Amerikaner schlagen.

Das bleibt wohl Wunschdenken. Vor Beginn der trilateralen Gespräche mit Xi und der Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, erklärte Macron zwar: «Die Zukunft unseres Kontinents wird auch von unserer Fähigkeit abhängen, ausbalancierte Beziehungen mit China zu entwickeln.» Angesichts der geopolitischen Herausforderungen sei eine Koordination mit Peking «absolut entscheidend». Doch solch höfliche Worte können die Spannungen nicht übertünchen.

Macron scheut, anders als Washington, eine offene Konfrontation mit Peking. Er verwehrt sich einem «Blockdenken» und liess nach einem Besuch bei Xi Jinping vor einem Jahr Zweifel aufkommen, ob er sich bei einem chinesischen Angriff für die Verteidigung Taiwans einsetzen würde. Aber eine Politik des «dritten Weges», der Äquidistanz, wird massiv erschwert durch die chinesische Haltung zum Ukraine-Krieg.

Chinas Unterstützung für Putin

Macron musste sich zu Beginn des Konflikts einst selbst den Vorwurf gefallen lassen, gegenüber Wladimir Putin zu nachgiebig zu sein. Doch mittlerweile bekundet der französische Präsident offensiv seinen Willen, der Ukraine so gut wie möglich zu helfen und den russischen Aggressor zu stoppen – selbst die Entsendung von Bodentruppen ist kein Tabu mehr für ihn.

Die Chinesen hingegen tun vordergründig so, als seien sie neutral und würden auf ein baldiges Ende der «Ukraine-Krise» hinarbeiten. Gleichzeitig stützt China das Regime in Moskau ökonomisch und militärisch. Xi will nichts von einer Teilnahme an der Friedenskonferenz in der Schweiz wissen, soll aber schon Mitte Mai Putin in Peking empfangen.

Dass der chinesische Machthaber dabei Druck auf Putin ausüben wird, Hand zu bieten für ein baldiges Ende des Kriegs, ist nicht zu erwarten – auch wenn Macron und von der Leyen am Montag entsprechende Hoffnungen äusserten. Macrons Traum von einem «olympischen Waffenstillstand» während der Spiele vom Juli und August in Paris, den Xi vermitteln helfen soll, ist ebenso unrealistisch. Xi begnügte sich am Montagabend vor den Medien damit, zu einem temporären Waffenstillstand «in allen Konflikten dieser Welt» aufzurufen.

Eskalierender Handelsstreit

Auch in der Handelspolitik gibt es grössere Verstimmungen. Europa versucht sich aus der ökonomischen Abhängigkeit von China zu lösen, die, so der Vorwurf der USA, zu politischer Unterwürfigkeit führe. Brüssel droht Peking mit Strafzöllen, weil China strategische Schlüsselindustrien wie Halbleiter, E-Autos, Wind- und Solarkraft übermässig subventioniere und die Produkte so zu Dumpingpreisen nach Europa exportieren könne. China hat darauf unter anderem mit Importrestriktionen für französischen Cognac reagiert.

In einem Interview mit dem «Economist» betonte Macron kürzlich, dass er die Untersuchungen der EU-Kommission in diesen Bereichen voll und ganz unterstütze. «Wir müssen uns heute gegenüber China in Bezug auf den Handel respektvoll verhalten, aber in einer Weise, die unsere Interessen verteidigt, auf Gegenseitigkeit beruht und die nationale Sicherheit stärkt.»

Die USA hätten es aufgegeben, die Chinesen dazu zu bewegen, sich an die internationalen Handelsregeln zu halten, und selbst gehandelt, sagte Macron. Dies mit Verweis auf die Inflation Reduction Act, ein milliardenschweres Subventionspaket der Regierung Biden für die Industrie. «Wir Europäer wollten das nicht sehen. Das ist ein schwerer Fehler.» Macron fordert deshalb, dass auch in Europa die Staaten kritische Bereiche der Wirtschaft stärker unterstützen und gegen die chinesische Konkurrenz schützen. Solche Worte wird Xi nicht gerne hören.

Scholz, der grosse Abwesende

Ursula von der Leyen sagte nach dem Treffen am Montag: «Wir werden unsere Firmen verteidigen, wir werden unsere Wirtschaft verteidigen. Wir werden nie zögern, das zu tun, was nötig ist.» Ein China, das fair spiele, sei gut für alle. Gleichzeitig werde Europa nicht zögern, harte Entscheidungen zu treffen, um seine Wirtschaft und seine Sicherheit zu schützen.

Europas wichtigste Wirtschaftskraft fehlte beim Treffen mit Xi: Der deutsche Kanzler Olaf Scholz hatte eine Einladung ausgeschlagen. Anders als Macron und von der Leyen tut sich Scholz schwer damit, Xis Politik anzuprangern – auch, weil Deutschland ökonomisch besonders eng mit China verflochten ist. Bei einem «Essen unter Freunden» inklusive Partnerinnen in einer Pariser Brasserie am letzten Donnerstag sollen sich der Kanzler und Macron auch über die Haltung gegenüber China unterhalten haben. Einen Konsens fanden sie dabei laut verschiedenen Medienberichten nicht.

Für Teile der französischen Opposition tritt jedoch auch Macron gegenüber China zu wenig forsch auf. In einem Gastbeitrag in der Zeitung «Le Monde» kritisierte der sozialistische Politiker Raphaël Glucksmann die «unterwürfige» Haltung Macrons gegenüber dem «Diktator» Xi. Man dürfe angesichts der Menschenrechtsverletzungen in China und der wirtschaftlichen Attacken auf Europa nicht einfach schweigen.

Proteste der Uiguren und Tibeter

Die französische Position in Bezug auf China zeuge nicht von Realismus, sondern von Narzissmus und Kurzsichtigkeit, hält Glucksmann Macron vor. «Einem autoritären Imperium zu schmeicheln, das den Interessen und Prinzipien unserer Nationen grundsätzlich feindlich gesinnt ist, bringt uns nichts ein und kostet uns viel.»

Auch Angehörige der in China unterdrückten Minderheiten der Uiguren und der Tibeter sowie chinesische Oppositionelle protestierten am Sonntag gegen Xis Besuch. Dieser wird nach seiner Frankreich-Visite nach Ungarn und Serbien weiterreisen. Von den China- und Russlandfreunden Viktor Orban und Aleksandar Vucic hat er keine angriffigen Voten zu befürchten.

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